Drei Monate
Da liegt er wieder, wieder
kauert er in der Ecke. Sein dunkelgrüner Pulli ist übersäht mit braunen
Flecken. Seine Jeans ist zerissen und abgenutzt. In seinen lockigen braunen Haaren
hängen Papierfetzen und Spitzerreste. Sie wären sicherlich glänzend, wenn der
Staub aus den aus dem Mülleimer nicht in seinen Haaren hing. Sein Gesicht ist
übersäht mit Kratzern und Blutergüssen. Sie sind erst vor kurzem verheilt so
scheint es. Doch davon merkt man kaum etwas, denn eine neue Schicht Blut
trocknet auf der alten schwarzen Blutkruste an. Jeder Fleck seines Gesichts ist
blau, man
sieht kaum etwas von seiner unversehrten Haut. Seine roten Lippen schimmern im
Sonnenlicht, weil das Licht sich im Blut auf seinen Lippen
spiegelt . Er sieht irgendwie ästhetisch aus. Er leckt das Blut von seiner Unterlippe. Zur
selben Zeit sonnt er sich mit geschlossenen Augen. Seine wunderschönen grünen
Augen sind geschlossen. Wahrscheinlich erholt er sich von den Prügeln die er
bekommen hat. Ich frage mich ob er weiß, dass ich ihn jedes
Mal beobachte, während ich auf meinen Bus warten muss. Er muss es
doch merken, die Bushalte stelle ist keine zehn Meter entfernt. Ich frage
mich auch warum er sich nicht wehrt, wie lange er das noch erdulden will. Ich
habe nur einmal gesehen wie er zusammen geschlagen wurde und das auch nur, weil
ich früher aus hatte. Er stand einfach nur da und lies sich schlagen. Er wich
den harten Faustschlägen oder den Tritten nicht aus. Als
sie fertig waren schubsten sie ihn in die Ecke und er ließ sich fallen. Selbst
als sie einen Mülleimer über ihn ausleerten, machte
er sich nicht die Mühe sie davon abzuhalten. Während dieser ganzen Tortur hat
er kein einziges Wort gesagt. Nicht einmal geschrien. Fühlt er etwa keinen
Schmerz ? Ich weiß es nicht. Ich beobachte
ihn schon seit drei
Monaten. Wann bemerkt er mich ? Wann ? Langsam wird es mir zu blöd, langsam kann ich
nicht mehr auf ihn warten. Wenn man vom Teufel spricht :
Mein Bus ist da. Während der Fahrt weine ich. Meine Augen werden sicherlich rot
sein.
Na endlich ist die Stunde aus .
Ich mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle und wieder
ist der Junge in der Ecke, aber er ist nicht alleine. Seine Peiniger sind bei
ihm. Was machen sie da ? Seh ich recht ? Das kann doch gar nicht sein ! Sie bedrohen ihn mit Feuer. Sie zünden mit
einem Feuerzeug ein Deo an, gleichzeitig zielen sie
damit auf den Jungen. Sie verfehlen knapp sein Gesicht, denn er hat sich
geduckt. Sie wiederholen den Vorgang. " Oh,
nein !" , diesmal werden sie ihn treffen. Er liegt
schon am Boden. Wohin will er jetzt flüchten ?
Die Flamme kommt seinem Gesicht immer näher. Kurz bevor das Feuer sein Gesicht
erreicht verdeckt er es mit seinen Armen. Doch nun werden diese vom Feuer
angegriffen. Ich kann sehen wie der Stoff von der roten Flamme aufgefressen
wird. Als wäre seine Kleidung des Feuers Vorspeise, die sich langsam dem
Hauptgang nähert. Das Feuer hat seinen Hauptgang erreicht und frisst sich
genüsslich durch seine Haut, so scheint es. Der Geruch von gebratenem Fleisch vermischt
mit dem Gestank des Deos der schon eine Weile in der Luft lag. Der Junge der
sonst jeden Schmerz lautlos ertrug,
lässt einen markerschütternden Schrei auflauten. Er windete sich, er krümmte und wälzte
sich. Als ob das nicht genug wäre, hat
ihn einer der Umstehenden in den Magen getreten, sodass er sich
übergeben musste. Er erbrach auf den Schuh des Angreifers. Dieser wurde wütend
und striff sich angeekelt den Mageninhalt des
Jungen vom Schuh, bevor zu einem weiteren Tritt ausholen
wollte. Ich konnte mir das nicht mehr mit ansehen. Wie konnte es
nur soweit kommen ? Ich rannte los und stellte
mich zwischen die beiden Parteien und schrie dabei, dass sie ihn in Ruhe lassen
sollen. Verdutzt schaute er mich an. " Was
machst du hier Annie ? ",fragte er. "Was
soll die Frage !? Wie lange willst du dich
noch verprügeln lassen ? Wann ist es
endlich vorbei ? Hast du mich überhaupt an
dieser Bushaltestelle sitzen sehen ?
", keifte ich ihn wütend an. "Ich muss eine Schuld begleichen. Denn, solang diese Narbe noch sichtbar ist, ist
meine Schuld noch da !".
"Schwachsinn ! Schwachsinn, du redest
nur Schwachsinn ! Seit wann machst du
einen auf edelen Ritter
? Was soll das ? Und ihr ! Hört auf ihm
wehzutun !" Einer der Peiniger wollte etwas sagen. Es
war mein Bruder. "
Annie warum verteidigst du ihn ?
Das alles machen wir nur für ...". Ich unterbrach ihn: "Sag ja nicht,
dass ihr das alles für mich macht. Ich habe euch nie darum gebeten! Ich habe
euch nie gebeten ihm wehzutun und dir habe ich nie gesagt, dass du eine Schuld
begleichen musst. Wenn du eine Schuld begleichen wolltest, dann wärst du nicht
gegangen ! Warum bist du gegagen ? Warum hast du mich allein gelassen ? Warum hast du mich alleine an der
Bushaltestelle warten lassen ? Warum Ethan
warum ?".
Ja so hieß der braune haarige
Lockenkopf mit den grünen Augen und den Wunden die ihm mein Bruder mit seinen
Freunden zugefügt hatte. Ja das war sein Name, Ethan, mein fester Freund. Vor drei
Monaten ist ihm an Silvester ein Feuerwerkskörper durchgegangen.
Seine Weinflasche ist umgekippt, deswegen ist der Feuerwerkskörper in meine
Richtung geflogen, und in meiner Nähe explodiert. Seitdem habe ich eine riesige
Narbe am Rücken, doch
weil ich mich rechtzeitig umgedreht habe, konnte ich verhindern das mein
Gesicht total entstellt wurde. Dafür hat es halt
meinen Rücken erwischt. Ich wusste, dass es nicht seine Absicht war, ich wusste
es. Dennoch war ich so unglaublich wütend auf ihn, obwohl ich ihn so sehr
liebte. Ich könnte ihm die Augen auskratzen so ne Wut hatte ich auf ihn ! Ich konnte nämlich nicht begreifen warum er
nicht ein einziges Mal versucht hat mich
anzusprechen und warum er keiner meiner Anrufe oder Nachrichten beantwortete.
Ich ging einen Schritt zurück damit ich gleichzeitig Ethan und die Gruppe
meines Bruders im Auge behalten konnte. Mein Blick fiel auf Ethans frische
Brandwunde. Sie schimmerte rötlich, weil man das Fleisch sehen konnte. Jetzt wo meine
Wut sich etwas gelegt hatte, konnte ich deutlich den
übelen Geruch wahrnehmen.
Es roch nach Erbrochenem, also nach faulen Eiern wegen der Galle, nach dem
penetranten Deo und nach Ethans angebranntem Fleisch. Mir wurde Übel als ich
bemerkte, dass Ethans Fleisch genau so roch wie das Stück Schweinefilet von heue
Mittag. Irgendwas kam meinen Hals hoch und blieb, dann
in der Kehle stecken. Ich hatte einen faulen Geschmack im Hals, gleich müsste
ich mich Übergeben. Also räusperte ich mich und versuchte damit den Würgereiz
zu stoppen. Währenddessen sah ich, dass einer der Kumpels meines Bruders
immer noch das Feuerzeug und das Deo in der Hand hatte. Sofort stieg mein Puls
von Null auf Hundert !
" Leg diese
Sachen sofort weg oder ich ruf die Polizei !"
fuhr ich in wütend an. Perplex warf er die
Sachen auf den Boden. Zur gleichen Zeit fiel ich über meinen Bruder her : "Was fällt dir ein meinen Freund einfach
so zu verprügeln ? Wie kommst du drauf das
es mich freuen würde wenn du die Person die
ich liebe, so zurichtest ?".
"Ich dachte du wolltest Rache, für das was er dir angetan hat. Du weinst
ja fast jeden Tag !", erklärte mir
mein Bruder. "Und du Ethan wieso lässt du mich immer noch warten ? Wieso
hast du mich drei Monate alleine gelassen ?
Wenn du mich nicht mehr liebst sag es mir jetzt , anstatt mich
warten zu lassen !". "Annie wie
kommst du darauf , dass ich dich nicht
mehr lieben würde ? Ich liebe dich so
sehr, dass ich dir nicht unter die Augen treten konnte !
Ich dachte ich würde dich jedes Mal an
deine Narbe erinnern , wenn du mich siehst ! Denn jedes Mal wenn ich dich sehe plagen mich
Schuldgefühle.
Jedes Mal plagt mich der Gedanke ich hätte irgendwas machen können, damit das
nicht passiert. Damit du nicht so viel hättest leiden müssen
! Ich dachte du würdest mich nicht mehr sehen wollen.", seine
Augen füllten sich mit Reue und seine Stimme war brüchig. "Ich habe es
doch nur gut gemeint, ich wollte dich nicht alleine lassen
!". Auch mein Bruder beteuerte seine guten Absichten : "Ich dachte du würdest dich freuen wenn
er auch Schmerzen erfährt wie du! Ich habe es auch nur gut gemeint ! Bitte Verzeih mir Annie
! Bitte verzeih auch du mir Ethan !".
Ethan schlug ihm eine rein und mein Bruder bekam Nasenbluten
: "Jetzt sind wir quitt !". "Was soll das ? Drei
Monate lang wurdest
du verprügelt und mit einem Schlag soll alles wieder OK sein
?", in meinem Kopf drehte sich alles. Ich verstand gar nichts
mehr ! "Annie dein Bruder hat mir das
Gefühl gegeben, dass ich für meine Tat büße. Ich hatte
gedacht dadurch würdest du mir Verzeihen und dass ich irgendwann zu dir rüber
gehen kann, und mit dir auf deinen Bus
warten kann. Ich habe deine Blicke die ganzen drei Monate bemerkt ! Jetzt wird alles wieder OK
!",sagte Ethan mit einer besänftigenden Stimme. "Wie
kann es sein das die drei schlimmsten Monate meines Lebens gut gemeint waren ? Das versteh ich nicht
! Wieso denkt ihr so komisch ?",
ich dachte und dachte und doch kam ich nicht drauf. Wie können einen gute Absichten so sehr Verletzen ? Ethan zog mich zu ihm heran und nahm mich in
den Arm. Er strich mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht und flüsterte :" Tut mir leid,
ich bin etwas blutig:", dann zog er mein Kinn zu sich heran und küsste
mich. Ich spürte seine warmen, blut nassen
Lippen auf meinen. Wie lange ich mich danach gesehnt habe. Meine Lippen waren
so einsam, denn
obwohl seine Lippen meine aufkratzen und der Kuss nach Blut schmeckte wollte
ich mehr. Auf einmal räusperte sich mein Bruder und sagte
:" Wir sollten zum Krankenhaus fahren !".
Wir lösten uns von einander und gingen zum Auto meines Bruder. Seine Kumpel
entschuldigten sich bei Ethan und verschwanden.
Die
ganze Fahrt lang hielten wir Händchen.
Die ganze Fahrt lang hatte ich den Geschmack seines Blutes auf meinen Lippen.
Drei Monate hat es gedauert bis ihr "gut gemeint" bei mir angekommen
ist.
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